Die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat mehrere Spezialgebiete. Die 1953 geborene Juristin arbeitete von 1997 bis 1998 im Niedersächsischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales, von 1998 bis 2002 im Bundesministerium des Inneren, und sie war von 2002 bis 2009 Bundesministerin der Justiz. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück berief die Hessin in sein Kompetenzteam für die Bundestagswahl am 22. September. Im Gespräch mit dieser Zeitung widmete sich Zypries den Themen Frauen, Familie und Rechtsradikalismus.

Frau Zypries, Sie sprechen in Bad Nenndorf über Frauen in der Sozialdemokratie. Ist das aus Ihrer Sicht eher eine Erfolgsgeschichte oder die Dokumentation eines Konflikts?
Es ist auf alle Fälle eine Erfolgsgeschichte, aber diese Geschichte könnte natürlich auch noch erfolgreicher sein. Wir als Sozialdemokraten haben seit 25 Jahren die Frauenquote, was dazu geführt hat, dass Frauen in den politischen Gremien mittlerweile sehr gut vertreten sind.

Die CDU hat die erste Kanzlerin ins Amt gebracht und im Gegensatz zur SPD auch bereits eine Parteichefin. Viele Beobachter gehen auch davon aus, dass Ursula von der Leyen entweder Angela Merkel nachfolgen wird oder erste Bundespräsidentin wird. Hat die CDU der zweiten Volkspartei hinsichtlich der starken Frauen etwas voraus? Die CDU hat eine starke Frau an der Spitze, und dann noch eine zweite dahinter. Aber in der Breite ist die SPD viel besser aufgestellt. Wir haben mehr starke Frauen als die CDU.

Manch einer in der SPD hätte sich Hannelore Kraft als Kanzlerkandidatin gewünscht. Wäre sie eine genauso gute Kandidatin wie Peer Steinbrück?
Hannelore Kraft wäre zweifellos eine gute Kandidatin gewesen, aber sie ist Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen und wollte das auch bleiben. Diese Entscheidung ist aller Ehren wert, finde ich. Und wir haben mit Peer Steinbrück ja auch einen guten Kandidaten gefunden.

Ist Hannelore Kraft dann eine mögliche Kanzlerkandidatin der Zukunft?
Wir haben in der SPD mehrere Frauen, die sich für diese Aufgabe eignen würden, beispielsweise unsere Generalsekretärin Andrea Nahles und Manuela Schwesig, die schon Regierungserfahrung als Ministerin in Mecklenburg-Vorpommern gesammelt hat.

Stichwort Frauenquote in Chefetagen. Sind Sie für oder gegen eine feste Quote?
Ich bin auf jeden Fall für eine feste Quote, die auch gesetzlich verankert werden sollte. Gerhard Schröder hatte ja eine freiwillige Quote mit den großen Unternehmen vereinbart, die aber zu nichts geführt hat – zumindest hat es keinen signifikanten Zuwachs an Frauen in Führungspositionen gegeben. Also bleibt uns gar nichts anderes übrig, wir diskutieren schon Jahrzehnte über eine Frauenquote, jetzt haben wir 2013.

Wenn die SPD nach der Bundestagswahl in Regierungsverantwortung kommen sollte, wird also sicher eine solche Quote geben?
Ja.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt gemeinhin als Frauenproblem. Ist dieser Denkansatz nicht schon das Eingeständnis des Scheiterns aller Bemühungen?
Es wäre sicherlich zu kurz gesprungen, wenn man das als reines Frauenproblem begreift. Kindererziehung ist auch Sache der Männer. Wir wollen, dass Männer sich für Erziehung interessieren, sie müssen das auch zu ihrer Sache machen. Erfreulich ist, dass das Erziehungsgeld für Männer immer häufiger in Anspruch genommen wird. Es gilt, deutlich zu machen, dass es für Männer kein Verlust ist sondern ein Gewinn, wenn sie sich um ihre Kinder kümmern. Natürlich sind auch die Unternehmen gefragt, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

Themenwechsel. Bad Nenndorf bekommt am ersten August-Wochenende „Besuch“ von voraussichtlich mehreren Hundert Neonazis. Das wird wieder der größte Nazi-Aufmarsch Niedersachsens sein. Wie aktiv ist die rechte Szene in Ihrem Wahlkreis Darmstadt-Dieburg und in Darmstadt insgeheim?
In der Stadt Darmstadt ist das kein großes Problem. Aber weiter in Richtung Odenwald gibt es schon eine aktivere Naziszene mit mehreren Gruppierungen. Deshalb fand ich es auch sehr schön, dass Sebastian Edathy in meinem Wahlkreis war, um über die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses zu berichten und gemeinsam mit vielen Interessierten zu diskutieren, was man als Bürger gegen Neonazis unternehmen kann.

Welches sind die sozialpolitischen Mittel, um Menschen von der rechten Szene fernzuhalten? Denn wenn jemand erstmal drin steckt, ist es für denjenigen sehr schwer, wieder herauszukommen.
Bildung, Bildung, Bildung lautet das Credo. Oft sind es Menschen, die sich selbst als gesellschaftliche Verlierer fühlen, die sich dann in der rechten Szene ausleben. Nichtsdestotrotz haben wir auch gute Aussteigerprogramme wie beispielsweise „Exit“, die auch funktionieren. Leider hat die Bundesregierung entschieden, da in der finanziellen Förderung zurückzugehen.

Wie groß ist die „Gefahr von Rechts“ Ihrer Meinung nach? Ist die Demokratie mittelfristig gefährdet?
Nein, aber wir müssen das Problem ernst nehmen. 900 Neonazis in Bad Nenndorf - das ist ja schon eine ordentliche Zahl. Auch im Internet gibt es eine rege Aktivität, und Diskriminierung von Schwulen und Ausländern sind an vielen Stellen zu beobachten. Ich denke auch an diesen Song von Bushido. Da müssen wir aufpassen.

Was halten Sie vom Bad Nenndorfer Widerstand gegen die Nazi-Aufmärsche – ist es besser, die Rechten zu ignorieren oder so intensiv wie möglich dagegen zu demonstrieren?
Es ist nicht richtig, wegzuschauen. Ich finde, man muss den Nazis entgegentreten, um zu zeigen, dass für sie in dieser Stadt kein Platz ist.

Frau Zypries, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Interview: Guido Scholl

sn-online.de vom 30.07.2013