Der unbeugsame Advokat der Demokratie

Am 19. Februar 1945 starb der ehemalige Ministerpräsident des Landes Braunschweig, Heinrich Jasper, im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Der Sozialdemokrat ist in der SPD fast vergessen, obwohl er einer ihrer prominentesten Politiker war.

Mitglieder des SPD-Ortsverein Schellerter Börde legten am 19. Februar 2020 einen Kranz vor dem Ehrenmal von Dr. Heinrich Jasper nieder


Eine Spurensuche.

Am 19. Februar 1945 stirbt im Konzentrationslager Bergen-Belsen nahezu unbemerkt der sozialdemokratische Rechtsanwalt Heinrich Jasper (SPD). Nur wenige Mithäftlinge wissen, wer Heinrich Jasper ist, der erst am 10. Februar 1945 aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen nach Bergen-Belsen verbracht worden war. Begraben für das Vergessen ist Heinrich Jasper in einem der vielen Leichenfelder des Konzentrationslagers. In der „Kleinen Geschichte der Sozialdemokratie“ ist Heinrich Jasper ebenso wenig verzeichnet wie in der „Chronik der deutschen Sozialdemokratie“. Das ist nicht in Ordnung, denn Jasper war in den Jahren der Weimarer Republik einer der prominentesten Landespolitiker der SPD. Wer also war Heinrich Jasper?

Geboren wird Bernhard Otto Heinrich Jasper am 21. August 1875 in Dingelbe bei Hildesheim. Der Vater Carl August ist Pächter des dortigen Rittergutes und darf als wohlhabend bezeichnet werden. Heinrichs Mutter Alwine entstammt einer Emigrantenfamilie. Großvater Konrad Heinrich Giesker, ein aus Braunschweig stammender Mediziner, der mit Heinrich Hoffmann von Fallersleben demokratisch konspiriert hatte, musste 1833 in die Schweiz auswandern. Das mag ein Grund für Heinrich Jaspers ausgeprägten Gerechtigkeitssinn gewesen sein.

Handfeste Erfahrungen mit der Sozialdemokratie

Weil die Ehe der Eltern kriselt, wird Heinrich Jasper zu Beginn seiner Schulzeit in einer Pension für Jungen in Hildesheim untergebracht. Dort macht er seine ersten Erfahrungen mit der Sozialdemokratie, denn die Herbergseltern legen für ihre Gäste den Vorwärts und die Schriften August Bebels aus. Nach der Scheidung der Eltern zieht Heinrich Jasper 1886 mit seinem Vater nach Braunschweig, wo dieser als Privatier weiterhin sehr auskömmlich lebt. Heinrich besucht das gerade gegründete humanistische Wilhelm-Gymnasium, das er 1894 nach dem Abitur mit dem Berufswunsch „Jurist“ verlässt.

Für das Wintersemester 1894/95 schreibt sich Heinrich Jasper an der Universität München ein. Dort macht er seine ersten handfesten Erfahrungen mit der Sozialdemokratie. Während einer Parteiveranstaltung fragt er einen Sitznachbarn nach dem Namen des Redners, wird mit den Worten beschieden: „Dös ist der Schmidt!“ und als vermeintlicher Spitzel mit einer schallenden Ohrfeige bedacht. Seiner Sympathie für die Sozialdemokratie tut dies keinen Abbruch. Nach weiteren Semestern in Leipzig und Berlin wird Heinrich Jasper im September 1897 zur ersten juristischen Prüfung zugelassen, die er mit „gut“ besteht. Seine Referendarzeit absolviert er in Braunschweig, wo er im Herbst 1901 zur zweiten juristischen Prüfung zugelassen wird. Danach eröffnet Heinrich Jasper in Braunschweig seine erste Anwaltskanzlei.

1902 tritt Heinrich Jasper in die SPD ein und engagiert sich kommunalpolitisch. Schon ein Jahr später gelingt es ihm, als erster Sozialdemokrat in Braunschweig einen großbürgerlichen Wahlbezirk zu gewinnen. Jasper macht sich einen Namen als gewiefter Finanzpolitiker und Schulreformer. So gewinnt er an Einfluss in der löwenstädtischen SPD. Bereits 1905 wird Jasper zum Vorsitzenden gewählt. Mit gemischten Gefühlen sieht er dem aufziehenden bösen Krieg entgegen. „Wer weiß, was für ein Gebräu aus diesem Hexenkessel noch herauskommt. Ein guter Trunk wird es schwerlich.“ Dennoch macht er seinen persönlichen Burgfrieden, denn „wir, d.h. Europa soll nicht kosakisch werden“. Das Grauen des Krieges und das deutsche Debakel erlebt Jasper als Soldat im Osten.

Beispiellose Karriere in der Landespolitik

Dass Heinrich Jasper Respekt über alle Parteigrenzen hinweg genießt, zeigt sich, als ihn die „Herzogliche Staatsregierung“ Anfang November 1918 nach Braunschweig zurückrufen lässt, damit er die revoltierenden Arbeiter in Schach halte. Als die Revolution ausbricht, befindet sich die Mehrheits-SPD in Braunschweig in der Minderheit. Dennoch wird Heinrich Jasper zum Präsidenten des ersten frei gewählten braunschweigischen Landtages gewählt. Seinem Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, dass das Parlament zur politischen Entscheidungsbühne wird. Im Januar 1919 wird Jasper in die Weimarer Nationalversammlung gewählt, in der er als Verfassungsrechtler maßgeblichen Einfluss auf die Erarbeitung der Reichsverfassung nimmt.

Im April 1919 wählen ihn die Abgeordneten des Braunschweiger Landtages zum Vorsitzenden des Staatsministeriums und damit zum Ministerpräsidenten. Das markiert den Beginn einer beispiellosen landespolitischen Karriere, die bis zur Machtübertragung an die Nazis andauern soll. Zeitweise übernimmt Jasper mehrere Ämter gleichzeitig. So bekleidet er als Ministerpräsident auch die Ämter des Finanz-, Innen- und Justizministers. Von 1924 bis 1927 hält Heinrich Jasper als Vorsitzender die sozialdemokratische Landtagsfraktion zusammen. Danach kann die SPD bis 1930 allein regieren, und Jasper wird noch einmal zum Ministerpräsidenten gewählt.

Nach der Landtagswahl vom 14. September 1930 ändert sich die politische Wetterlage in Braunschweig dramatisch. Die Linke verliert ihre Mehrheit und die Nazis ziehen mit Hilfe des Bürgerblocks in die Regierung des Landes Braunschweig ein. Als Fraktionsvorsitzender der SPD organisiert Heinrich Jasper den Widerstand gegen die sofort einsetzende Nazifizierung des Landes. Ein Jahr später spitzt sich die Lage noch einmal zu, als der fanatische Nazi Dietrich Klagges zum Minister für Volksbildung und Inneres ernannt wird. Jasper leitet einen Misstrauensantrag gegen Klagges ein, der jedoch knapp scheitert. Das hat schreckliche Folgen, denn die Nazis überziehen Heinrich Jasper mit beispiellosem Hass. Am 18. März 1933 verhaften sie den ehemaligen Ministerpräsidenten und foltern ihn im von der SS besetzten „Volksfreundehaus“ der SPD. Jasper bleibt unbeugsam und verweigert die Unterschrift für den Mandatsverzicht.

Tödliche Rache der Nationalsozialisten

Ohne jedes, auch nur scheinrechtliche, Verfahren wird Heinrich Jasper im Braunschweiger Gefängnis Rennelberg inhaftiert und mit totaler Kontaktsperre belegt. Ein Entlassungsgesuch bescheidet der inzwischen zum Ministerpräsidenten avancierte Dietrich Klagges mit den Worten: „Eine Entlassung aus der Schutzhaft ist nach Lage der Dinge nicht zweckmäßig, vielmehr ist eine Überführung in ein preußisches Konzentrationslager beabsichtigt.“ Bis 1935 bleibt Heinrich Jasper im Rennelberg inhaftiert, dann wird er in das Konzentrationslager Dachau verbracht. Im Juni 1938 wird Jasper überraschenderweise freigelassen, muss sich aber jeden Tag bei der Gestapo melden. Da er aus der Rechtsanwaltskammer ausgeschlossen worden ist, lebt Jasper zurückgezogen von Ersparnissen. Politische Kontakte sind eher zufällig.

Die letzte Etappe seines Leidensweges beginnt am 22. August 1944, als im Zuge der „Aktion Gitter“ alle ehemaligen sozialdemokratischen Funktionäre verhaftet werden. Heinrich Jasper wird in das Konzentrationslager Sachsenhausen und am 10. Februar 1945 nach Bergen-Belsen verbracht. Dort stirbt er ausgemergelt nach schweren Misshandlungen am 19. Februar an Flecktyphus. Nach der Zerschlagung des Faschismus wird die Kaiser-Wilhelm-Straße in jenem Bezirk Braunschweigs, in dem Heinrich Jasper 1903 zum ersten Mal ein politisches Mandat erringen konnte, in Jasperallee umbenannt.